Der Ständerat will bei der Pensionskasse den Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle senken. Was bedeutet das? Der Beobachter beantwortet die fünf wichtigsten Fragen.
Beobachter
“Das Milliarden-Loch bei den Staatlichen”
Der Beobachter bringt einen ungeschminkten Bericht über die teilweise desolate finanzielle Situation öffentlicher Pensionskassen, welche gleichzeitig überaus komfortable Leistungen für ihre Versicherten bieten.
Härter könnte es Jérôme Cosandey nicht formulieren. «Es war ein fauler und sehr teurer Kompromiss», sagt der Pensionskassenspezialist der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Avenir Suisse. Vor zehn Jahren hatte sich das Parlament in Bern auf ein Modell geeinigt, wie man die öffentlich-rechtlichen Kassen bis 2014 verselbständigen und bis 2024 voll kapitalisieren kann. Jetzt aber zeigt sich: Es wird deutlich teurer als gedacht.
Damals wurden 38 PKs von Kantonen und Gemeinden mit einer Staatsgarantie ausgestattet. Wenn alles schiefläuft, wird der Staat für die von den Kassen eingegangenen Verpflichtungen geradestehen müssen. 28 dieser Kassen – die meisten weisen grosse Deckungslücken auf – wählten das Modell Teilkapitalisierung. Sie alle streben einen Deckungsgrad von 80 bis 100 Prozent an. Um auf eigenen Füssen stehen zu können, müssen diese Kassen in den nächsten Jahren zusätzlich Wertschwankungsreserven von durchschnittlich 15 bis 20 Prozent aufbauen. Das allein macht klar, dass ihre Sanierung weitere Milliarden kosten wird. Weil das so teuer wird, haben sie bis 2052 Zeit.
Rentnerlastige Kassen: hoffnungslose Fälle?
Wer in einer Kasse mit hohem Rentneranteil versichert ist, hat in der Regel schlechte Karten. Der Beobachter schreibt sogar von “hoffnungslosen Fällen”. Die garantierten, überhöhten Renten fressen den Ertrag weg und bei Sanierungen werden die Aktiven erst recht zur Kasse gebeten. Im Beitrag von Bernhard Raos heisst es dazu:
Ende 2018 gab es laut der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge 45 reine Rentnerkassen, 85 Kassen mit mehr Rentnern als Aktiven und 250 Kassen, die wohl mehr Aktive als Rentner haben, aber in denen bereits mehr als 50 Prozent des Kapitals den Rentnern gehören. Wie viele dieser Kassen nicht sanierungsfähig sind, wird nicht erfasst.
Rund jeder zehnte Versicherte gehört einer Kasse mit hohem Rentneranteil an. Darunter hat es zwar auch einige sehr gut finanzierte Einrichtungen wie die SIG Pensionskasse. Mit 300 Aktiven und 800 Rentnern hatte sie Ende 2018 einen Deckungsgrad von über 130 Prozent und konnte in den letzten zehn Jahren fünfmal Zusatzrenten ausrichten.
Doch solche Kassen sind die Ausnahme. Gemäss Schätzungen fehlen rentnerlastigen Pensionskassen nötige Reserven von 120 Milliarden Franken – und das war vor der Coronakrise. Prevanto-Experte Niklewicz spricht jetzt erst recht von einer zweigeteilten beruflichen Vorsorge: «Wer das Glück hat, einer Kasse mit ausgeglichenem Altersprofil anzugehören, kann auf eine angemessene Verzinsung seines Sparguthabens hoffen. Schlimmstenfalls muss er jetzt kurzzeitig Sanierungsbeiträge hinnehmen. Die anderen, die in einer Kasse mit hohem Rentneranteil sind? Die haben Pech gehabt.»
Eine Zeitbombe. Wenn Kassen zu stark in Unterdeckung geraten und die Renten nicht mehr zahlen können, bleibt nur noch der Sicherheitsfonds BVG der zweiten Säule (Sifo). Er wird über Beiträge aller Kassen finanziert und schützt nur versicherte Löhne bis 127 980 Franken. Wer richtig Pech hat, muss nicht nur Minderverzinsung und Sanierungsbeiträge verkraften, sondern sich auch noch die Rente kürzen lassen.
Je mehr Pensionskassen rentnerlastig werden, desto stärker tickt die Zeitbombe. Und wenn sich angeschlagene autonome Pensionskassen in eine Sammelstiftung retten wollen, finden sie kaum Anbieter. «Das ist derzeit unmöglich oder zumindest äusserst schwierig», sagt Konrad Niklewicz. Es brauche eine Lösung auf nationaler Ebene.
Beobachter: Die 10 grössten Irrtümer zur 2. Säule
Der Beobachter zählt die 10 grössten Irrtümer auf. Allerdings sind keine dabei, welche Neues bringen würden. Und wie weit sie verbreitet sind, wissen wir nicht. Aber für viele mögen da einige Illusionen beseitigt werden.
- Die Schweizer Altersvorsorge ist die beste der Welt.
- Wer gleich viel verdient, gleicht lang arbeitet und gleich viel einbezahlt, bekommt auch gleich viel Rente.
- Frauen erhalten weniger Rente aus der zweiten Säule als Männer.
- Mit 100 Prozent Deckungsgrad ist meine Pensionskasse sicher.
- Die zweite Säule ist obligatorisch für alle.
- Meine Pensionskasse muss die Altersguthaben nachhaltig anlegen.
- Die Renten aus der zweiten Säule garantieren ein finanziell gesichertes Leben im Alter.
- Wenn meine Pensionskasse mein Geld gut anlegt, habe ich Anspruch auf höhere Zinsen.
- Ein hoher Umwandlungssatz bringt in jedem Fall mehr Rente.
- Wenn die Pensionskassen günstiger arbeiten würden, müssten die Renten nicht gekürzt werden.
Vorschläge für eine Reform der Altersvorsorge
Der Beobachter hat eine Reihe von Vorschlägen für eine Reform der Altersvorsorge zusammen gestellt, welche über Änderungen der Beitragssätze und des Umwandlungssatzes hinausgehen. Der Titel lautet “Die Wackelrente als Wundermittel?”… Es sind dies die Initiative für eine generationengerechte Vorsorge von Josef Bachmann; die Forderung nach Flexibilität im Überobligatorium der Grünliberalen (parl. Initiative Weibel); die 13. AHV-Rente des Gewerkschaftsbunds; die von c-alm entwickelten Ideen für den ASIP; die bereits realisierten Modelle mit flexiblen Renten von PwC oder Implenia.
Beobachter zu den Vermögensverwaltungskosten
Der Beobachter befasst sich mit den Vermögensverwaltungskosten bei Pensionskassen. Zitiert werden u.a. Urban Hodel (PK-Netz), Rudolf Strahm oder Matthias Kuert, denen anscheinend schleierhaft ist, weshalb überhaupt Verwaltungskosten anfallen. Die Zeitschrift kritisiert:
Während die versprochenen Renten in den vergangenen Jahren nur gesunken sind, blieben die Margen der Berater und die Löhne der PK-Chefs verschont. Die Verwaltungskosten stiegen sogar um 6,6 Prozent, obwohl die Zahl der Vorsorgeeinrichtungen 2015 von 1866 auf 1782 zurückging. Die Branche hebelt damit sogar das grundlegende ökonomische Prinzip aus, wonach Konzentration zu einem Effizienzgewinn führen sollte.
Meint der Beobachter-Redaktor, die Löhne der PK-Mitarbeiter sollten sinken, wenn der Umwandlungssatz zurückgeht? Hanspeter Konrad (ASIP) hält dagegen:
Wieviel Umverteilung?
Der Beobachter geht der Frage nach, wie hoch die Umverteilung zwischen Jung und Alt wirklich ist. Bei der Vorsorgestiftung Integral scheint das Problem nicht zu existieren.
Das Volk hat die Vorlage zwar bachab geschickt, doch das Umverteilungsargument ist geblieben. Rechte wie linke Politiker benutzen es, um neue Reformen anzustossen. Die wenigsten bestreiten, dass es wegen der tiefen Zinsen und der gestiegenen Lebenserwartung bei den meisten Pensionskassen eine Umverteilung gibt. Nur kann niemand sagen, wie gross sie ist.
Der Bundesrat beziffert die Umverteilung auf 1,3 Milliarden Franken pro Jahr. Die Zahl errechnete das Bundesamt für Sozialversicherungen anhand einer Studie von 2015. Darin hat Vizedirektorin Colette Nova aber geschrieben: «Die erhobenen Daten sind nicht repräsentativ, eine Hochrechnung für die Gesamtheit der Vorsorgeeinrichtungen ist somit nicht möglich.»
“Renten sinken stärker als nötig”
Bernhard Raos geht im Beobachter der Frage nach, wie hoch der technische Zinssatz sein müsste. Raos schreibt:
Die Pensionskassenexperten sind zerstritten. Stundenlang diskutierte ihre Kammer jüngst – und konnte sich dennoch nicht einigen, wie hoch der technische Referenzzinssatz vernünftigerweise sein soll. Der Entscheid wurde auf November vertagt. (…)
Wie hoch der technische Zinssatz vernünftigerweise sein soll, ist schon länger umstritten. 2010 einigte sich die Kammer der Pensionskassenexperten auf ein Berechnungsmodell, wie der Referenzzins festgelegt werden soll. Inzwischen ist er eine wichtige Grösse, nach der sich sehr viele Experten und Pensionskassen richten. Doch gegen den Referenzzinssatz gab es von Beginn weg Kritik. Ein einheitlicher Satz für alle Pensionskassen macht eigentlich keinen Sinn. Denn jede Kasse legt ihr Geld anders an und weist eine andere Altersstruktur auf. (…)
Auch die Oberaufsichtskommission ist mit dem Modell der PK-Experten unzufrieden und will den Referenzzins ganz streichen. Die Kritik kommt allerdings reichlich spät, denn der Referenzzinssatz hat seine Wirkung längst entfaltet. Viele Pensionskassen haben die Renten in den letzten Monaten stärker gesenkt als nötig.
Beobachter: “Wer schröpft da wen?”
Finanziert die erwerbstätige Bevölkerung die Senioren? Was tragen die Jungen und was die rüstigen Rentner zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei? Die Beobachter-Infografik zeigt, wie die Generationen zusammenspielen.
Beobachter: AV2020 verständlich erklärt – mehr oder weniger
Der Beobachter macht den Versuch, die Reform allgemein verständlich darzustellen. Fällt dabei aber auch der irreführenden Sprachregelung zum Opfer, dass der 70 Franken-Zuschlag eine Kompensationsmassnahme darstelle. Man kann es nicht genug betonen, es handelt sich um eine partielle, unnötige und unsoziale Teil-AHV-Erhöhung.
Vom Kapital- zum EL-Bezüger
Pensionskassen und Sozialversicherungsgesetze laden Rentner quasi zum Kapitalbezug ein. Doch schon bald wird die Hälfte der Bezüger auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein, schreibt der Beobachter. Im Artikel heisst es:
Die Zahlen schrecken auf: 44 Prozent aller Personen, die 2014 im Kanton Schwyz neu Ergänzungsleistungen (EL) erhielten, hatten zuvor Kapital aus der zweiten Säule bezogen. Das ergab eine Auswertung, die dem Beobachter vorliegt. Es sind die ersten detaillierten Zahlen aus einem Kanton.
Der Anteil der Bezüger von Pensionskassenkapital, die zusätzlich EL benötigen, ist also rund einen Drittel höher als bisher angenommen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) war für das Jahr 2014 noch auf einen schweizweiten Anteil von 33 Prozent gekommen. Dies ist allerdings ein hochgerechneter Wert, der auf Daten von zehn EL-Stellen über drei Monate basiert.
Andreas Dummermuth, Direktor der Ausgleichskasse Schwyz, spricht von einer «besorgniserregenden Entwicklung» und einem «Massenphänomen». Jetzt sei das Parlament gefordert: «Es muss entscheiden, wo die Selbstverantwortung der Rentner endet und die Verantwortung der Steuerzahlenden beginnt.» (…)
Das Gesetz regelt nur den obligatorisch versicherten Sparanteil. Beim Geld, das im sogenannten Überobligatorium liegt, haben die Kassen hingegen einen grossen Handlungsspielraum – den sie auch nutzen. Weil die Zinsen aktuell tief sind und die durchschnittliche Lebensdauer steigt, sind die meisten Kassen um jeden Versicherten froh, der sein Geld bezieht. Einige Kassen verlangen von den Versicherten gar, dass sie das ganze überobligatorische Sparguthaben beziehen.
«Längerfristig werden die Kapitalbezüge das EL-System vermehrt belasten, da die Kapitalabfindungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben», warnte der Bundesrat daher letzten Herbst.
Prof. Eichenberger: Erwerbstätigkeit im Alter steuerlich fördern
Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger schlägt in einem Beobachter-Interview vor, Einkommen nach dem ordentlichen AHV-Alter nur noch halb zu besteuern. Auszüge:
Beobachter: Sie schlagen vor, man solle Einkommen ab 66 oder 67 nur noch halb besteuern. Was würde das bringen?
Reiner Eichenberger: Die Steuern brechen heute die Arbeitsanreize der Alten. Rentner, die arbeiten, laufen voll in die Steuerprogression. Dazu müssen sie auch noch AHV-Beiträge zahlen, obwohl ihre Rente dadurch nicht mehr steigen kann. Dagegen wird zuweilen eingewandt, arbeitende Alte könnten ja AHV-Rente und Berufsrente aufschieben lassen, wofür sie dann später höhere Renten erhalten. Das ist aber hochriskant und lohnt sich nur, wenn man sehr alt wird. Für die Alten heisst das: Wer arbeitet, wird entweder überbesteuert oder muss aus steuerlichen Gründen auf die Rente verzichten. Da macht Arbeit wenig Spass. Mein Vorschlag löst dieses Problem.
Arbeiten die Leute nur fürs Geld länger?
Geld ist nie der einzige Motivator, aber meist ein wichtiger. Sobald Leute gute Alternativen zur Arbeit haben – und das haben Rentner –, reagieren sie scharf auf die Höhe der Steuern. Mit meinem Halbsteuermodell könnten sie länger arbeiten, aber es ein wenig ruhiger nehmen und dafür ein bisschen weniger Lohn verlangen. So kämen sie den Arbeitgeber billiger zu stehen, hätten aber trotzdem nach Abzug der Steuern mehr Lohn. Der Staat hätte auch noch etwas davon. Eine Win-win-win-Situation.
Gibt es denn überhaupt genügend Jobs für Ältere?
Aber sicher! Das Problem ist nicht ihr biologisches Alter, sondern ihre «Restlaufzeit». Wenn sich ein 61-Jähriger bewirbt, überlegt heute der Arbeitgeber, ob sich Einarbeiten und Weiterbildung noch lohnen. Wenn der 61-Jährige dagegen dank Halbsteuermodell länger als bis 65 arbeiten will, sieht das anders aus. Zudem: Altersarbeit ist gesamtwirtschaftlich eine Jobmaschine. Je mehr Alte arbeiten und so auch einen Steuerbeitrag liefern, desto weniger müssen Junge und Arbeitgeber belastet werden. Altersarbeit macht also den Standort Schweiz wettbewerbsfähig, bringt Investitionen und Jobs.

